Reiner Schwalme

(19.6.1937)

Selbstporträt von Reiner Schwalme
Selbstporträt von Reiner Schwalme – 2000er Jahre

Reiner Schwalme findet spät zur politischen Karikatur und zur DDR- Satirezeitschrift »Eulenspiegel«. Wird er gerade deshalb zu einem der wichtigsten Karikaturisten in der Vor- und Nachwendezeit?

Seine Arbeiten sind von einem unverwechselbaren, flüssigen Strich und seine Ideen von einer Frische, die nicht nur der »Eulenspiegel« in dieser Zeit der 1980er Jahre braucht. Ehrlichkeit, Gerechtigkeit, Toleranz und Frieden sind die großen Themen, für die er sich schon immer stark macht.

Reiner Schwalme sieht sich eher als zeichnender Journalist, die politische Tagesmeldung ist gedanklicher Ausgangspunkt für seine Karikaturen. Dabei lässt er den Betrachter nicht im Unklaren, wem seine Sympathie gilt. Es sind die Verlierer, die Schwachen, die Nichtcleveren der Gesellschaft.
Er ist der zeichnende Anwalt des „kleinen Mannes“. Seine Karikaturen gehören längst zu den am meisten prämierten und zu den bekanntesten in der Bundesrepublik.


Reiner Schwalme wird als einziges Kind eines Stellmachers und einer Schneiderin im niederschlesischen Liegnitz geboren und verbringt seine frühe Kindheit in Kliczkow (heute Polen). Als Umsiedlerkind kommt Reiner Schwalme kurz vor Ende des zweiten Weltkrieges in den Harz. Durch einen glücklichen Zufall entgeht die Familie auf der Flucht vor dem Krieg nur knapp dem Bombenangriff auf Dresden.
Zeichnen ist von Kindesbeinen an seine Leidenschaft.

Nach dem Abitur geht er nach Berlin und bewirbt sich an der Kunsthochschule in Berlin- Weißensee. Er besteht die Aufnahmeprüfung, studiert dort ein Jahr und wird dann  exmatrikuliert. Die Begründung ist künstlerische Phantasielosigkeit; über die wahren Gründe kann er nur spekulieren. Er wechselt zur Fachschule für Werbung und Gestaltung in Berlin- Schöneweide und beendet dort seine Ausbildung im Herbst 1959 als Gebrauchsgrafiker. Die beruflichen Perspektiven sind, bei der staatlichen Werbeagentur Propagandamittel zu gestalten oder im Studio für Synchronisation bei der DEFA Vorspänne für Filme zu entwickeln.

Illustration zu „Die Perlen des alten Parlay“ – Verlag Neues Leben, 1979, Tusche


Beides entspricht nicht seinen Vorstellungen. Alternativ beginnt er als Grafiker bei der DDR-Gewerkschaftszeitung »Tribüne«, immer mit der Hoffnung so schnell wie möglich freiberuflich tätig zu werden. Er fertigt hauptsächlich Vignetten, Illustrationen, Diagramme und Schrift.  Gleichzeitig übernimmt er Aufträge für Illustrationen u.a. vom »Berliner Verlag«- mit »Für Dich« und »FF Dabei« und vom »Verlag Junge Welt« mit seinen Kinderzeitschriften »Trommel«, »Technikus«, »ABC- Zeitung«, »Frösi« und »Bummi«.

Illustration zu „Im Auftrag des Kalifen“ – Verlag Neues Leben, 1983, Tusche

1966 schafft er den Schritt in die Selbständigkeit. In der »Trommel« erscheint von 1978-1986, meist nach den Sommerferien, die Comic-Serie „Rolf und Robert“. Zwei weitere Comic- Serien mit Bildern und Texten von ihm entstehen Anfang der 80er Jahre für die Frauenzeitschrift »Für Dich«: „Der Schatz von Finkenrode“ und „Ferien im Mittelalter“. Sie gehören nicht nur zu den langlebigsten DDR- Bildergeschichten, sondern auch zu den wenigen, in denen Alltag und Mentalität dokumentiert werden.

o.T. – Tribühne, 1988, Tusche

Mitte der 70er Jahre löst Reiner Schwalme den Hauszeichner der »Tribüne« ab und zeichnet nun täglich Karikaturen hauptsächlich zu innenpolitischen Themen.

1985 lädt ihn die Redaktion des »Eulenspiegel« zur Mitarbeit ein. Im Zusammenhang mit Gorbatschows Perestroika und Glasnost, den verstärkt beginnenden Auseinandersetzungen und Diskussionen über Wechsel und Wandel in der DDR- Gesellschaft wächst auch die Bedeutung der Karikatur und der satirischen Zeichnung in der Öffentlichkeit.

„Chef, Kritik mit Ceka?“ – „Sehen Sie doch rasch mal nach – im Fremdwörterbuch!“ – Karikatur für den „Eulenspiegel“, 1986, Tusche/ Aquarell

Die ersten Jahre beim »Eulenspiegel« sind für sein Schaffen als politischer Zeichner wichtig. Heinz Behling ist ihm dabei mit seiner Arbeits- und Herangehensweise Vorbild.

1989/90 profiliert sich Reiner Schwalme zu einem der wichtigsten Chronisten des rasanten Wandels. Kaum ein anderer Zeichner im »Eulenspiegel« dokumentiert so lückenlos das Geschehen und trifft die schwierige Gemütslage in dieser Zeit so genau.

o.T. – Satirezeitschrift „Eulenspiegel“, Ende 1989, Tusche/ Aquarell

Er bekommt schnell Kontakt zu den alten Bundesländern, beteiligt sich an den ersten Ausstellungen von Eulenspiegel- Zeichnern in  Westberlin. Seine Zeichnungen werden vielfach bundesweit nachgedruckt, man lädt in zu Ausstellungen ein. Er arbeitet zeitweise für die Gewerkschaftszeitung »metall«, für das Stadtmagazin »Tip« und regelmäßig für den Berliner »Tagesspiegel«.
Er zeichnet weiter für die Satirezeitschrift »Eulenspiegel« und ab 1992 veröffentlicht die »Sächsische Zeitung« in Dresden – über mehrere Jahre – seine politische Tageskarikatur . Arbeiten von Schwalme wurden auch im Spiegel und in der F.A.Z. nachgedruckt.

Einige seiner Arbeiten zur Deutschen Wiedervereinigung wurden im Rahmen der bundesweiten Wanderausstellung „1 + 1 = EINS – Vier Karikaturisten zeichnen die Vereinigung Deutschlands“ gezeigt und hängen im Ausstellungsbereich des Deutschen Bundestages im  Paul- Löbe- Haus. Viele seiner besten Karikaturen gehören heute zur Sammlung im Haus der Geschichte in Bonn und sein umfangreiches Lebenswerk wird von der Sammlung der „Stiftung Museen für Humor und Satire“ bewahrt.

Reiseskizze – Palästinensischer Soldat, 1999, Kohle/ Aquarell

Für seine Zeichnungen erhält er den 2. Preis beim „Köpenicker Karikaturensommer“ 1992, den 1. Preis bei der „Gothaer Karikade“ 1994. Mehrfach geht der „Deutsche Preis für die politische Karikatur“ an ihn, so als 1. Preis 1995/1998/2002/2005 und als 3. Preis 1997/2007. Hinzu kommen  der 1. Preise beim Internationalen Karikaturenwettbewerb EXPO 2000, der 3. Platz beim „Deutschen Karikaturenpreis“ 2000, der Publikumspreis beim „Festival in Knocke Heist“ 2000, der 1. Preis bei der „Rückblende 2005“ sowie der 2. Platz beim Karikaturenpreis des Bundes deutscher Zeitungsverleger der „Rückblende 2012“ und der 1. Preis beim Karikaturenwettbewerb „Vision D“ 2006. 

o.T. – Karikatur für die „Sächsische Zeitung“, 2003, Tusche / Farbstift

Seit 1993 lebt Reiner Schwalme in Groß Wasserburg im Unterspreewald und später in Lübbenau/ Spreewald.

© Nachdruck möglich mit freundlicher Genehmigung des Autors von „EULENSPIEGEL-Klassiker der ostdeutschen Karikatur“ – Andreas Nicolai; Wilhelm-Busch-Gesellschaft Hannover; 2008


Schwalme und andere über Schwalme

Wollten die Zeichner also in dem engen Rahmen, den ihnen die Herrschenden zugestanden, in ihren Arbeiten Wesentliches, den Mächtigen Unbequemes sagen, so mussten sie es sehr gut verpacken, verstecken, verschleiern, und zwar so, dass es ihr Publikum herausfand, der Zensor aber nicht. Eine Zumutung für diejenigen, deren Arbeit es eigentlich ist aufzudecken und komplizierte Tatbestände einfach und schnell ablesbar darzustellen. Ein Glück im Unglück, dass gelernte DDR-Bürger diese Sprache – die Sklavensprache der Zeichner – gut verstanden. Als nach der „Wende“ die erste kleine Ausstellung von Ost-Berliner Karikaturisten in West-Berlin in den Räumen des Verlags „Elefanten Press“ stattfand – die Zeichner hatten ihre schärfsten Blätter ausgewählt -, waren die West-Berliner Besucher ratlos, verständnislos. Sie beherrschten diese Sprache nicht. Inzwischen haben wir Zeichner aus den „neuen Ländern“ die Sprache der „gebrauchten Länder“ lernen müssen. Sie ist unkomplizierter, sehr direkt und laut und bedient sich gerne der, in der DDR ungeliebten, Porträtkarikatur. Eine bessere DDR ist uns nicht gelungen. Jetzt geht es uns allen, West- und Ostzeichnern, um Deutschland. Daran ist auch noch einiges zu verbessern.

Schwalme im Katalog Unterm Strich- Karikatur und Zensur in der DDR 2005

Reiner Schwalmes Welt-Anschauung ist ganz wörtlich zu nehmen: Er schaut sich die Welt an und gibt ihr (s)einen Rahmen, damit der Blick nicht abschweifen kann und zwingt damit den Betrachter, diesen speziellen „Schwalme-Ausschnitt“ wahrzunehmen. Ein Blick genügt und man sieht, wie die journalistische Nachricht mit zeichnerischen Mitteln verdichtet wird. […] Dabei versteckt Schwalme listig die brisante Meldung in einer alltäglichen Geschichte. Keiner kann staunende Arglosigkeit besser zeichnen als er, ebenso – und Klischees sind erlaubt – wie die dumm-gefährliche Dünkelhaftigkeit, die unabhängig von Hierarchien daherkommt. Seine Figuren sind in ihrer Normalität für jeden wiedererkennbar. Er arrangiert sie meist paarweise, um sie dann dramaturgisch geschickt ins Gespräch kommen zu lassen.

Martina Schellhorn Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung 2001

AUSWAHL

Reiner Schwalme in der Sammlung

Das Lebenswerk von Reiner Schwalme befindet sich als Dauerleihgabe im Besitz der Stiftung und ihrer „Sammlung Museen für Humor und Satire“. Längst sind nicht alle Original-Zeichnungen digitalisiert und erschlossen. Zu umfangreich ist ein solches Konvolut, zumal Reiner Schwalme einen überwiegenden Teil seiner Berufsjahre als tagespolitischer Zeichner tätig war.

Das Frühwerk bis in die Mitte der 1990er Jahre steht aber bereits in digitaler Form für die Arbeit mit der Sammlung bereit.
Hinzu kommen umfangreiche Bestände an Illustrationen, an Beiträgen für Kinder – und Jugendzeitschriften, an Plakaten und deren Entwürfen, Skizzen, Porträtzeichnungen und vieles mehr aus dem jahrzehntelangen Schaffen des Graphikers.